Wir — die Stadtteilinitiative WEM GEHÖRT KREUZBERG — möchten gerne die Karte der Verdrängungsprozesse für "61" aktualisieren: viele Mietshäuser haben nicht nur die Abgeschlossenheitserklärung, sondern sind mittlerweile in Eigentumswohnungen umgewandelt. Kündigungen wegen 'Eigenbedarf' haben Hochkonjunktur. Ferienwohnungen in lukratives möbliertes, zeitlich befristetes Wohnen übertragen. Kleingewerbetreibende verdrängt...
Schaut doch mal in der Karte nach, ob in euren Häusern Daten aktualisiert werden sollten oder ob euer Haus überhaupt schon auf der Karte ist.
09.04.2018 Einführungs-Statement zum Pressegespräch der Demo: „Gemeinsam gegen Verdrängung und #Mietenwahnsinn widersetzen“ am 14.04.

Die Wohnungskrise betrifft alle! Die Wohnungskrise ist inzwischen für die meisten Menschen in Berlin direkt zu spüren. In der Stadt, in der 85% aller Haushalte Mietwohnungen sind, ist die Verdrängung von Menschen aus ihren Vierteln und damit die Zerstörung von Kiezen als funktionierende Sozialräume, zu einer leidvollen Alltagserfahrung geworden. Viele haben selbst schon eine Verdrängung hinter sich oder haben Freunde und Bekannte, die jetzt nicht mehr in der Nachbarschaft wohnen, weil sie es sich nicht mehr leisten konnten. Verdrängung heißt dabei immer: Unfreiwilliger Umzug, Zerstörung von Lebensplänen und Verlust von sozialen Bindungen.

Mietpreise über 13 € bei Wohnungen, die neu auf den Markt kommen, sind inzwischen in der Innenstadt üblich und Mieter*innen im Bestand sind teils extremen Mietsteigerungen ausgesetzt. Im Ergebnis befürchten 47% der Mieterinnen in Berlin, dass sie sich ihre Wohnung in den nächsten 2 Jahren nicht mehr leisten können. D.h. die Hälfte der Bevölkerung sieht sich selbst als direkt betroffen von der Wohnungskrise.

Die Bundesgesetze — zur Umlage von Modernisierungskosten, zur energetischen Sanierung und die nicht funktionierende Mietpreisbremse – sind Gesetze, die den Mieter*innenschutz stark ausgehöhlt haben. Der Wohnungsneubau bleibt darüber hinaus schleppend und die Unterversorgung mit Wohnungen – also der Mangel – im sogenannten leistbaren Segment nimmt stetig zu. Bundesweit wird von einem Fehlbestand von 2 Mio. Wohnungen ausgegangen.

Doch der Wohnungsmarkt funktioniert schon lange nicht mehr nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage, so dass der Mangel eben nicht zu einer starken Bautätigkeit führt. Im Gegenteil, die Mangelsituation und die Rahmensetzung durch Bundesgesetze hat Verdrängung als Geschäftsmodell etabliert. Es ist viel lukrativer für die Immobilienwirtschaft Menschen, die bisher noch niedrige Mieten bezahlen, aus dem Bestand zu drängen, als neu zu bauen. Nach Rauswurf der Mieter*innen und nach kostengünstiger Modernisierung, dürfen Wohnungen zu extremen Mieten oder im Verkauf als Eigentumswohnungen angeboten werden. Ins extreme Preisniveau sind auch Abfindungen für Bestandmieter*innen und Kosten für Zwangsräumungen eingepreist. So entsteht derzeit so gut wie kein günstiger Wohnraum, sondern überall, auch hinaus bis zum Stadtrand werden die Preise hochgetrieben. Neue Wohnungen kommen fast ausschließlich im Luxus-Segment hinzu.

Einzelne Bezirksverwaltungen versuchen mit dem Ausweisen von Milieuschutzgebieten und dem kommunalen Vorkaufsrecht der Verdrängung Einhalt zu gebieten. Doch die kleinen Erfolge stehen riesigen Verlusten gegenüber. Über diese Verfahren, wurden im Jahr 2017 im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gerade mal für 814 Wohnungen ein preisgünstiges Mietniveau gesichert. Aber gleichzeitig wurden 3454 Wohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt und hochpreisig verkauft. In anderen Bezirken steht auf Seiten der Rekommunalisierung trotz ausgewiesener Milieuschutzgebiete eine glatte Null! Der Milieuschutz kann viel zu leicht über Ausnahmeregelungen ausgehebelt werden, die der Neuköllner Stadtrat “Schlupfkrater” nannte, weil die Bezirksämter allzu leicht gezwungen werden können, Umwandlungen zu genehmigen.

Als rechtlichen Hebel gegen Mietsteigerungen in Gewerbeflächen gibt es gleich gar keine Mittel, so dass Gewerbetreibende oft die ersten sind, die aus den Kiezen gedrängt werden. Dabei ist gerade das nahversorgende Kleingewerbe so wichtig für die Lebendigkeit der Sozialräume — also zum Erhalt des Milieus.

In der Situation, dass fast jeder Preis bezahlt wird, um überhaupt eine Wohnung zu bekommen, haben Menschen mit Eigenschaften, die von der Immobilienwirtschaft als Nachteile gewertet werden — z.B. Behinderungen, unregelmäßiges Einkommen, nicht-deutsche Herkunft oder viele Kinder — kaum noch eine Chance. Dagegen werden Wohnungen besonders gern vergeben, wenn solvente Kundschaft angibt, die Wohnung als Zweitwohnsitz nur temporär beziehen zu wollen. So hat sich ein neuer Rassismus und Sozialchauvinismus in der Branche breit gemacht, der Menschen bis weit hinein in die Mittelschicht diskriminiert.

Hinzu kommt, dass der Handel mit Immobilien und Wohnraum zur zentralen Stütze des europäischen Finanzsystems geworden ist, in das jeden Monat frisch erfundene Milliarden zu Nullzinspreisen gepumpt werden. Immobilien versprechen echte Werte und so kommt es, dass inzwischen Preise für Mietshäuser bezahlt werden, die dem 45-fachen der Jahreskaltmiete entsprechen. Solche hoch spekulativen Finanzgeschäfte können nur dann als plausibel gelten, wenn Bestandsmieter*innen rigoros aus den Immobilien gedrängt werden. Dabei sind die Mieteinnahmen bei diesem sogenannten Asset-Management völlig nebensächlich. Spekuliert wird auf den Wiederverkauf nach 10 Jahren, für den dann noch nicht einmal Steuern bezahlt werden müssen. Auch institutionelle Anleger sowie Rentenkassen usw. sind hier als Verursacher der Preissteigerungen zu nennen.

Außerdem wird auch der öffentliche Raum immer mehr zum Geschäftsraum, in dem Bürgerrechte außer Kraft gesetzt werden und Profit erwirtschaftet werden muss. Private Secureities setzen Hausordnungen durch — auch auf öffentlichen Plätzen und Straßen — und die Bewohner*innen und Nutzer*innen der Stadt werden zu Konsument*innen degradiert.

Breite Basis für Protest und Solidarisierung Gegen all diese Fehlentwicklungen — und damit sind noch längst nicht alle Themen genannt — richtet sich unsere Demonstration. Wirklich alle Berliner*innen und Bewohner*innen anderer Städte, außer vielleicht den wenigen Profiteuren des Systems, sehen inzwischen die Notwendigkeit, die Wohnungs- und Mietenpolitik und damit die Stadtpolitik neu auszurichten.

Es ist darum nicht verwunderlich, dass diese Demonstration von einem so breiten Bündnis von Initiativen und Organisationen getragen wird, wie es nach unserem Kenntnisstand, noch nie zu einem stadtpolitischen Thema zusammengekommen ist. Es ist das Auftreten einer neuen Mieter*innenbewegung, die ein “Recht auf Stadt” einfordert — gegen die rein profitgetriebenen Interessen der Immobilienwirtschaft und fordernd gegenüber der Politik auf allen Ebenen.

Es geht darum, sich entschlossen dem Raubzug der Immobilienwirtschaft durch die Städte zu widersetzen. Der Lebenswert, der von den Bewohner*innen der Städte über Jahrzehnte geschaffen wurde, darf nicht jetzt von Immobilienverwertern abkassiert werden. Wir sind mehr als das Lokalkolorit, mit dem in den Immobilienprospekten die tolle Lage beschrieben wird. Wir Menschen bilden diese Stadt und nicht die Immobilien. Und wir formieren authentischen Protest, der Wirkung zeigt. In vielen Einzelfällen konnten für Betroffenen schon Erfolge erzielt werden: Bereits gekündigte Läden, für die neue akzeptable Mietverträge erzwungen werden konnten, Wohnprojekte für die neuer Wohnraum entsteht, Modernisierungsmaßnahmen, die massiv verringert werden konnten und für die nach Druck durch die Mieter*innen viel weniger auf die Miete umgelegt wurde.

Zu den spezifischen Problemen haben die Initiativen viel Kompetenz und Expertise aufgebaut und die konkreten Forderungen sind vielfältig. Einige werden im Anschluss von den einzelnen Initiativen genannt, doch auch im Rahmen dieses Pressegesprächs können längst nicht alle Forderungen aufgezählt werden.

Im Demo-Bündnis sind derzeit 182 Gruppen eingebunden und bis zur Demonstration unter dem Motto “Gemeinsam gegen Verdrängung und #Mietenwahnsinn widersetzen” am Samstag, den 14. April, werden es ganz sicher noch einige mehr.

Während der Aktionstage, die seit dem 4. April laufen, werden bisher 59 Aktionen von Initiativen aus der ganzen Stadt veranstaltet. Nachbar*innen-Gruppen machen überall gegen den Mietenwahnsinn mobil — von Altglienicke bis Weißensee, Spandau bis Marzahn — und sie treffen auf eine Stadtgesellschaft, die ihrerseits inzwischen Beteiligung einfordert. Eine Beteiligung daran, wie Stadt entsteht und erhalten werden soll.

Darum ist der Protest schon lange kein Projekt von wenigen Aktivist*innen mehr, sondern eine Bewegung, die von der ganzen Breite der Gesellschaft getragen wird. In Berliner Mietshäusern leben eben alle: Von Menschen, die sich selbst als “Hartzer” bezeichnen, bis zu Richter*innen und Professorinnen, von Kindern bis Senioren — Menschen aus allen Ecken der Welt, die hier zu Menschen und Nachbar*innen von nebenan werden. Sie alle rufen wir zur gemeinsamen Demo – und wir sind sicher sie kommen: für eine solidarische Stadt für alle.

WIR SIND DIESE STADT!


PM  zum Pressegespräch am 09.04.2018: Große Vielfalt im Demo-Bündnis und breiter Rückhalt in der Gesellschaft für die Demo “Gemeinsam Verdrängung und #Mietenwahnsinn widersetzen”

Gemeinsame Presseerklärung des Demo-Bündnis

Beim heutigen Pressegespräch bewerten zahlreiche Mit-Organisator*innen der Demonstration „Mietenwahnsinn widersetzen“ am 14. April bereits die vorbereitenden Aktionstage als vollen Erfolg. Die überwältigende Resonanz zeige: “Verdrängung als Geschäftsmodell der Immobilienwirtschaft akzeptieren wir nicht. Wir sind diese Stadt!”

„Wir werden jeden Tag mehr“, sagt Magnus Hengge von der Nachbarschaftsinitiative Bizim Kiez — Unser Kiez mit Blick auf die über 180 Initiativen und Organisationen, die zur Demonstration aufrufen. „Schon jetzt machen Nachbar*innen im Rahmen der Aktionstage gegen den Mietenwahnsinn mobil — mit rund 60 bissig-kreativen Aktionen von Altglienicke bis Weißensee, von Spandau bis Marzahn. Wenn die Hälfte der Berliner Mieter*innen Angst hat, wegen Mietsteigerung die Wohnung zu verlieren, ist es allerhöchste Zeit für ein gemeinsames Stopp-Signal: Die Mieten- und Wohnungspolitik muss auf Landes- und Bundesebene neu ausgerichtet werden.“

Auf öffentlichen Versammlungen, in Nachbarschaftshäusern und sozialen Einrichtungen in ganz Berlin laufen die Vorbereitungen für den 14. April auf Hochtouren. Auch im Kinderladen Bande in der Kreuzberger Oranienstraße, wie Max Kerkhoff aus der Elternschaft berichtet: „Nur durch Protest konnten wir eine vierfache Mieterhöhung durch den neuen Eigentümer, einen Immobilienfonds, verhindern. Sie hätte das Aus für den Kinderladen bedeutet. Soziale Einrichtungen und kleines Gewerbe sind in Berlin akut von Verdrängung bedroht. Die Grundlage unserer Nachbarschaft und des Zusammenlebens steht auf dem Spiel. Wir haben uns jetzt in der ganzen Straße mit Wohn- und Gewerbemietern zusammengeschlossen, um gemeinsam besser Druck machen zu können, auch für eine neue bundesgesetzliche Regelung.“

Remzi Uyguner vom Türkischen Bund Berlin-Brandenburg ergänzt: „Arbeitsmigrant*innen und deren Kinder und Enkel sowie Menschen mit Fluchtbiographie sind historisch gewachsene, feste Bestandteile der Berliner Stadtgesellschaft und besonders der Innenstadtbezirke. Sie lassen sich weder vertreiben noch ausgrenzen!“

Verdrängung ist längst nicht mehr nur ein innerstädtisches Thema, so Peter Schmidt vom Mieterprotest Kosmosviertel: „An die fünftausend Mieter *innen sind bei uns – in einem der sozial schwächsten Berliner Stadtrand-Viertel – von Mietsteigerungen nach unsinnigen energetischen Modernisierungsmaßnahmen betroffen oder bedroht. Über die Hälfte der Haushalte wird durch die Mieterhöhungen finanziell überfordert. § 559 erlaubt die vollständige Umlage der Kosten auf die Mieter*innen, doch auch danach bleibt die Miete erhöht. Wir fordern stattdessen eine sozialverträgliche Lösung mit einem Sozialplanverfahren und den Rückkauf der Wohnungen durch die Stadt. § 559 muss abgeschafft werden.“ Auch im Berliner Norden, schließt Lars Laue vom Pankower Mieterprotest an, organisieren sich Mieter*innen gegen den Modernisierungs-Paragraphen: “Nach § 559 dürfen Eigentümer mit maximal teuren Modernisierungen maximal teure Mieten erzielen. Er legalisiert Wuchermieten und die Abschaffung der Mieterrechte!“

Ulrike Hamann von der Mietergemeinschaft Kotti & Co kritisiert die Fördersystematiken im Sozialen Wohnungsbau: „Der Soziale Wohnungsbau ist heute eher ein Investitionsprogramm mit sozialer Zwischennutzung, als ein Instrument nachhaltiger sozialer Wohnraumversorgung. Wir brauchen in Deutschland einen ganz anderen Sozialen Wohnungsbau – einen ohne private profitorientierte Investoren und mit einer neuen Wohnungsgemeinützigkeit.“

„Wir als Akteur der Wohnungslosenhilfe beteiligen uns, um auf die von Verdrängung am stärksten betroffenen Menschen aufmerksam zu machen“ sagt Jürgen Schaffranek, der fachlicher Leite der Obdachlosenarbeit bei Gangway e.V. ist. „Dieser Ausgrenzungsprozess ist Resultat einer verfehlten Stadtplanungs- und Wohnungspolitik, welche die Profitinteressen der Immobilienbranche vor die existenziellen Bedürfnisse der Bewohner*innen gestellt hat. Die Effekte reichen bis hin zur Gefährdung von Angeboten der Wohnungslosenhilfe selbst, da deren Einrichtungen immer häufiger Opfer von Mietpreisentwicklungen im Zuge von Immobilienspekulationen werden.
Wir sehen in der strikten Rekommunalisierung der Wohnungswirtschaft die einzige Chance einer wirksamen Mietpreisbremse. Dazu können im Extremfall auch Enteignungen von Wohnräumen gehören, wenn Besitzer*innen ihrer verfassungsrechtlichen sozialen Verantwortung mit Eigentum nicht nachkommen.“

Tim Riedel vom Bündnis Zwangsräumung Verhindern sagt: “Jeden Tag finden in Berlin über 15 Zwangsräumungen statt. Sie sind die gewaltsamste Form der Verdrängung. Wir kämpfen dafür, dass Menschen in ihren Wohnungen bleiben können und Wohnen keine Ware mehr ist. Immer mehr Mieter*innen wehren sich gegen ihre Vermieter. Das macht Mut. Am Samstag werden Tausende auf der Straße ein starkes Zeichen setzen.”

Die Demonstration startet am 14. April um 14 Uhr am Potsdamer Platz. Das breite außerparlamentarische Bündnis umfasst eine Vielfalt an Mieter*innen- und Nachbarschaftsinitiativen, Kiez- und Familienzentren, Sozial- und Kultureinrichtungen, Hausgemeinschaften, selbstverwalteten Projekte, Wohnungslosenhilfen, stadtpolitisch aktiven Vereinen und Gruppen, Gewerkschaften und Verbänden.